„Immer so Geschichten, die man hört“

Geister ungesehen – Ein deutsches Trauma. Ein fiktionales Biopic über das Mecklenburg-Vorpommersche Demmin

ANALOG Theater, Regie: Daniel Schüßler, studiobühneköln

Nimmt man den Untertitel Biopic beim Wort, geht es darum, das Leben einer bekannten Persönlichkeit – oder zumindest Ausschnitte daraus – mit den Mitteln des Films zu erzählen. Erzählen lässt sich so aber auch die Geschichte eines Ortes, wie ANALOG jetzt in „Geister ungesehen“ eindrucksvoll unter Beweis bestellt hat. Protagonist ist Demmin, eine Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern.  In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs nahmen sich hier mehr als 1000 Menschen – überwiegend Frauen mit ihren Kindern – aus Angst vor der Rache der Sieger das Leben. Ein Trauma, das bis in die Gegenwart nachwirkt.

Regisseur Daniel Schüßler und sein Ensemble sind diesem düsteren Erbe in einem Rechercheprojekt nachgegangen. Das Ergebnis ist eine „multiperspektivische Film-Installation für die Bühne“, wie es im Programmheft treffend beschrieben ist. Unter dem Bühnenhimmel der Studiobühne hängen zwei Leinwände, darunter findet sich eine menschhohe, transparente Röhre – Sinnbild für den Gang ins Unterbewusste, aber ebenso auch für den Kokon, den es bei einer Traumabewältigung abzulegen gilt. Filmemacher Thomas Vella zeigt auf den drei Projektionsflächen Landschaften und Menschen in Aufnahmen, die durch ihre lakonische Ästhetik wirken – oft protokollarisch, manchmal ironisch, manchmal mystisch ohne verschwurbelt zu sein. Wassergeister, mythische Urwesen und ein Chor erweisen den vielen Toten, die vor 75 Jahren auch durch die Flüsse der Gegend trieben, ihren Respekt.

Die Entscheidung, zwar Bilder des Ortes, aber keine Bilder von den Menschen aus Demmin zu zeigen, erweist sich als dramaturgisch klug. Die vor Ort geführten Interviews werden drei PerformerInnen in den Mund gelegt, die berichten können, ohne zu werten. Und ohne auf die Tränendrüse zu drücken. So ergibt sich ein instruktives Nachdenken über Heimat, Schuld und der transgenerationellen Weitergabe von (Kriegs-)Traumata. „Geister ungesehen“  bezieht sich jedoch nicht nur auf das ferne Demmin, vielmehr wird es nah, individuell und persönlich, wenn auch die drei PerformerInnen Dorothea Förtsch, Lara Pietjou und Ingmar Skrinjar von eigenen Traumaerfahrungen berichten. Eine im besten Sinne unaufgeregte Arbeit, die einen wichtigen Beitrag leistet zu einem Diskurs, der in diesem von Covid-19 überlagerten Erinnerungsjahr viel zu kurz kommt. 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist dieser auch 30 Jahre nach der Vereinigung keineswegs vergangen, sondern sehr präsent im kollektiven Unbewussten. Und die Frage, wie damit umgehen ist, bleibt.