Poesie und Ironie

Fractura. Tanztheater über Verletzungen und Altern
mit Bibiana Jiménez

Wehr51, Regie: Andrea Bleikamp, Orangerie Theater

50 große Theaterminuten: Tanz, Video, Zeichnungen, Fotografie, Musik und Text gehen in „Fractura“ eine zugleich poetische und ironische Verbindung ein. Es gibt zauberhafte, berührende Bilder – es schneit in der Orangerie! – und mit Bibiana Jiménez eine kraftvoll präsente Tänzerin, deren Lebensgeschichte in einer Inszenierung von Andrea Bleikamp erzählt wird. Eine autofiktionale Biographie, die geprägt ist von Migration, Verletzung und der Suche nach der eigenen Rolle als Frau und Künstlerin. Jiménez ist auf der Bühne ein Ereignis: schonungslos stellt sie ihre Erfahrungen und ihren Körper zur Verfügung. Ihre Performance mit und ohne Krücken ist so energetisch wie elektrisierend und auch wenn es um Prozesse des Älterwerdens geht, kommt einem ‚verbraucht‘ oder ‚ausgelaugt‘ nie in den Sinn.

Eine verfremdete Computerstimme, die sich an Jahreszahlen orientiert, betont die Distanz zwischen dem Bühnengeschehen und der Person. Dennoch fehlte eine soziologische Weitung des Blicks. Wofür steht diese Biografie? Ist sie typisch für Tänzerinnen (sicher), für Migrantinnen (vielleicht), Frauen allgemein (eher nicht). In dem Zusammenhang etwas unentschieden: die Integration von ‚dokumentarischem Material‘. Einerseits ein abwechslungsreicher Kontrast zu der Poesie der Zeichnungen von Katarina Caspersen, aber auch ein Bruch, der ästhetisch nicht ganz überzeugt hat. Der Schluss gerät zwiespältig. Bibiana Jiménez geht mit Krücken und Verbänden ab – ein zusammengeflickter Körper, getragen von einem unbändigen Willen weiter zu machen. Das ist bewundernswert, aber auch ein bisschen traurig, weil das (Kunst-)System, das Selbstausbeutung und Verletzung fordert und immer neues junges Futter braucht, auf diese Art und Weise ungeschoren davon kommt. So lange sich Tänzerinnen/Frauen immer wieder selbst zum Weitermachen bewegen, so lange wird sich nichts an der Leistungsorientierung bestimmter Systeme ändern.