Heimat?

Der Zauberer von Oz – there’s no place like home

Regie: Tom Müller, Theater der Keller

Wer braucht schon Pumps, wenn es rote Chucks gibt? Nicht von ungefähr erinnert die Farbe des Schuhwerks der SchauspielerInnen an jenes magische Paar Schuhe, mit dem sich das Mädchen Dorothy aus dem Lande Oz einst zurück nach Hause wünschte. Doch die Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat, sind für Regisseur Tom Müller unwiderruflich vorbei – und Dorothys magischer Spruch „There’s no place like home“ so sehr Platitüde, dass das home zwar stehen bleiben darf, aber typografisch im Titel gestrichen wird. Und damit auch wirklich alle begreifen, dass „Zuhause“ und „Heimat“ korrumpierte Begriffe sind, prangt die Aufforderung „FUCK HOME“ in Großbuchstaben im Bühnenhimmel. Mindestens genauso viel Mißtrauen hegt Müller augenscheinlich gegen das Erzählen an sich: „Unfassbar langweilig“ klinge L. Frank Baums Geschichte über den „Zauberer von Oz“, heißt es gleich zu Beginn des Abends, der sich anschickt eine Erzählung so kunstvoll wie ironisch zu dekonstruieren.

Müllers ungestüme Auseinandersetzung mit dem Kinderbuch und dem bekannteren Musicalfilm aus dem Jahr 1939 lässt wenig übrig von einer ‚Somewhere-over-the-rainbow‘-Sentimentaltität. Revueartig zeigt sie vielmehr auf, dass und wie Hollywood als affirmative Traumfabrik funktioniert und symbolische Macht ausübt – Verblendungszusammenhang nannte man das in der Kritischen Theorie. Profitmaximierung steht über den persönlichen Belangen etwa einer Judy Garland, die in der Rolle der Dorothy weltberühmt wurde.

Aber die tragische Biografie der Garland steht gar nicht im Mittelpunkt, auch wenn der Schauspielerin und Sängerin eine lange Sequenz gewidmet ist, sondern es geht Müller um Heimat-Narrative – warum ein Konzept den Rechten überlassen, wenn man es mit Popkultur neu aufladen kann? Das ist klug gedacht und unterhaltsam gemacht. Nur leider franst der Abend an den Rändern aus, je länger er dauert. Die Assoziationsketten werden ungebremst vom (amerikanischen) Kolonialismus und Rassismus bis zum nicht verarbeiteten Nationalsozialismus gesponnen, und eine Publikumsbeschimpfung ist auch noch drin. Allerdings: Ein souverän aufspielendes Ensenble (Frank Casali, Tim-Fabian Hoffmann, Karolina Horster, Simon Rußig) entschädigt für die dramaturgischen Längen und gedanklichen Schlaufen. Ihnen zuzusehen ist eine große Freude. Und warum sollte politisches Theater keinen Spaß machen dürfen?